(M)Eine Sichtweise von vielen.
Wir (mein Mann und ich) beschäftigen uns gerade sehr stark mit unserer gemeinsamen Sexualität und legten uns allerhand Bücher zu, die die christlich eheliche Sexualität behandeln. Wer mir auf meinen Social-Media-Kanälen folgt, der konnte schon so manchen Gedankenerguss von mir lesen und könnte meinen, uns gehe es nur um Sex. Das ist selbstverständlich nicht so, auch wenn es ein Hauptbestandteil ist. Ohne Sex keine gute Ehe. Sex ist ein Bindemittel für die Ehe zwischen Mann und Frau, auch weil es tiefer geht, als nur den körperlichen Akt an sich. Körper, Geist und Seele sind eine Einheit.
Warum beschäftigen wir uns gerade jetzt so intensiv damit? Weil wir möchten, dass unsere Ehe jetzt und auch in der Zukunft auf festen Beinen steht und dazu gehört, neben dem Fundament des Glaubens, ganz klar auch eine erfüllte und regelmäßige Sexualität. Wir sind seit sieben Jahren verheiratet, seit neun Jahren zusammen. Unser Kennenlernen erfolgte über ein sexuelles Thema und in den ersten Jahren waren wir sexuell sehr aktiv, waren froh jeweils jemand getroffen zu haben, der genauso denkt und fühlt, wie man selbst. Dann kamen die Kinder, in vier Jahren drei Kinder. Entweder war ich schwanger oder ich stillte, was für unser Sexualleben ein Killer war. Ganz klar. Nun haben wir die Familienplanung abgeschlossen, die Kinder sind keine Babys mehr und wir sortieren uns neu. Wir sehen in die Zukunft und fragen uns, was wir sonst noch für Ziele haben, wo wir uns als Ehepaar in Zukunft sehen, wo unsere Reise noch hingehen soll, was Gott mit uns als Paar noch vorhat und auch… wie gestalten wir unser Sexleben in Zukunft? Wir sind beide in den letzten Jahren älter und reifer geworden. Ansichten sowie Bedürfnisse veränderten sich und das müssen wir nun alles neu unter einen Hut bekommen.
Warum ist uns das Thema wichtig?
Folgend überlegten wir uns, warum die Sache mit der Sexualität in unserer Generation Freikirchenchristen eigentlich so ein belastetes Thema ist. Jeder will guten und regelmäßigen Sex haben und doch klappt es scheinbar bei so wenigen, da es immer wieder zu zwischenmenschlichen Problemen unter den Paaren kommt. Viele Ansichten, die hinderlich an einer befreiten ehelichen Sexualität sind, die zum Teil von Kindesbeinen an eingetrichtert wurden und innere Belastungen, die einen lähmen.
In der Bibel gibt es einiges bezüglich Sexualität, wie der z.B. folgende Vers: „Wer sich nicht enthalten kann, der solle heiraten“ (1.Kor 7,9). Sprich, wer Sex haben will, der soll heiraten, somit gehört Sex in die Ehe, oder auch: die sexuelle Verbindung zwischen Mann und Frau vollzieht die Ehe vor Gott. Allerdings stellt gerade dieser Vers viele vor ein Problem.
Da wären wir bei der Partnersuche angekommen und die Schwierigkeit: Wie finde ich den richtigen Partner? Es gibt so eine große Auswahl an potenziellen Partnern, wie soll ich mir da EINE/N heraussuchen? Die Qual der Wahl. Was dann oft dazu führt, dass auch unter Christen ein reger Partnerwechsel vollzogen wird, einfach weil die Entscheidung so schwer fällt, bzw. die Festlegung auf eine Person. Man will richtig wählen, wenn man nur einen sexuellen Partner im Leben haben darf. Zudem kommt noch, dass viele gar nicht gelernt haben, über das Thema zu sprechen. Sie können gar nicht ausdrücken, was sie sich wirklich wünschen und wollen. Sie wissen es vielleicht im Kopf, haben eine rege Phantasie, aber können es verbal nicht kommunizieren oder schämen sich für ihre Phantasien, was in einer Ehe zum Problem werden kann. Dazu kommt auch der oft rege Pornokonsum, der natürlich auch vor einem Menschen, der sich Christ nennt, nicht haltmacht. Dabei werden oft falsche Reize gesetzt, wie und was Sexualität ist, bzw. Sexualität nur auf das Technische reduziert, was jemanden, der noch nie Sex hatte, fehlerhaft im Hirn programmieren kann. Es werden falsche Erwartungen und Vorstellungen geschürt, wie Sexualität zu sein hat.
Auch die Vorstellungen von einer Partnerschaft, bei denjenigen, die in den 90er Jahren ihre Teenagerzeit in den christlichen Freikirchen verbracht haben und diese „Kein Sex vor der Ehe“- Welle (gefolgt von WWJD- What Would Jesus Do) aus den USA mitbekommen haben, sind rückblickend betrachtet, sehr besorgniserregend. Wie z.B. das Buch von Josh Harris „Ungeküsst und doch kein Frosch“, welches mit Begeisterung empfohlen wurde und den jungen Paaren angeraten hat, sich erst vor dem Traualtar zu küssen, da ein Kuss auch schon Sex sei und folgend unzüchtig. Erst vor ein paar Monaten geisterte durch die Medien der Bericht, dass Josh Harris sich scheiden lassen und sich von seinen Thesen schon länger vollkommen losgesagt haben soll.
Oder auch, dass die Frau sich dem Manne unterwürfig (er-)geben sollte, was auch auf die Sexualität umzumünzen ist. „Der Mann will immer Sex“ ist so ein prägender Satz, und wenn der Mann will, hat die Frau bereit zu sein. Meine Generation fing dagegen an aufzubegehren und so langsam aber sicher wird bekannt, dass die Frau eine eigene, sehr komplexe Sexualität besitzt und wie die weibliche Sexualität funktioniert (auch anatomisch gesehen). Eine moderne Frau möchte nicht nur „in Besitz“ genommen werden, sondern aktiv mit dabei sein. Oft scheitert es wohl daran, dass die Frauen selbst nicht wissen, wie ihre eigene Sexualität funktioniert. Viele junge Mädchen träumten dazumal, im übertragenen Sinne, von ihrem Ritter in glänzender Rüstung, der ihnen den Weg weist, sie erobert. Mädchen, die von sich aus Initiative bei den Jungs ergriffen, wurden nicht gerne gesehen. Eigeninitiative beim Sex war dann natürlich auch keine Option.
Selbstbefriedigung wurde als Sünde deklariert! Den eigenen Körper zu erkunden und folgend seine eigene Sexualität zu erforschen wurde als großes Übel abgetan und zwar in unserer beider Jugend. Es wurden Schreckenshirngespinste aufgestellt, wonach man später dann in seiner Ehe keine schöne Sexualität erfährt, wenn man davor schon “mit sich selbst” Sex gehabt hätte.

Beispiele mitten aus dem Leben
In den letzten Jahren sind leider einige Ehen von ehemaligen christlichen Freunden und Bekannten geschieden worden.
Ich erinnere mich noch dunkel an ein Büchlein, das ich von meiner damals noch jungen Jugendkreisleiterin bekam, welches genau “biblisch belegte”, warum Masturbation Sünde sei (zum Glück weiß ich nicht mehr, wie es geheißen hat), sie selbst hätte es von ihrer Schwiegermutter bekommen, da auch sie ein „Problem“ mit Selbstbefriedigung gehabt habe. Vor ein paar Jahren hörte ich leider, dass sie geschieden ist, sie sei fremd gegangen und mit ihrem Lover abgehauen. So wurde es erzählt. Wenn man alles so gedanklich durchspielt, eigentlich kein Wunder, denn sie wird wahrscheinlich in ihrer Ehe nie eine erfüllende Sexualität gehabt haben, wenn man mit solchen geistigen Hindernissen in die Ehe geht.
Bei einer Ehe war der offensichtliche Grund, dass der Mann viel beim Arbeiten und fast nie zu Hause war und die Frau mit den Kindern viel alleine. Was längere sexuelle Abstinenz forderte und die Frau sich dann wohl anderweitig Befriedigung verschafft hat. War nicht korrekt klar, denn es war Ehebruch, aber verständlich. Wenn keine Nähe und Intimität mehr vorhanden sind, für was ist man denn dann überhaupt verheiratet? Da trifft vielleicht zu, was das Buch Die fünf Sprachen der Liebe zum Ausdruck bringt: Das Paar sollte immer darauf achten, dass der Liebestank voll bleibt, oder sich nie ganz leert. Ohne Liebe keine Paarbeziehung!
Gegenseitiger Verzicht auf Sexualität sollte nur dann erfolgen, wenn beide damit einverstanden sind und wenn man dabei im Gebet ist, sprich sich intensiv um sein inneres Glaubensleben kümmert, damit man nicht vom Satan verführt wird (1.Kor 7,5). Damit ist wohl gemeint, sich Gedanken um andere Männer Frauen zu machen, Pornografie zu konsumieren, oder sogar fremdzugehen.
Ein junges christliches Ehepaar, erst knapp zwei Jahre verheiratet, trennte sich. Er ging fremd. Es folgte die Scheidung. Da geht man automatisch davon aus, dass es in der Ehe um die Sexualität auch nicht gut bestellt war.
Ein Mann, ein guter Freund, ein paar Jahre älter als ich, fragt mich (!!!), wie wir es mit unserer ehelichen Sexualität halten, er benötigte offensichtlich Anhaltspunkte für seine noch junge Ehe.
Und dabei sind es zum Teil sehr aktive Mitglieder in christlichen Gemeinden, manchmal sogar in Leitungsfunktionen (gewesen). Es scheint ein massiver Mangel und Unkenntnis darüber vorzuliegen, über das Wissen der Wichtigkeit der ehelichen Sexualität und falls Defizite vorliegen, wie man diese beheben kann. Es wurde zu wenig darüber geredet, obwohl stimmt nicht ganz, Verbote wurden viele in dem Bereich ausgesprochen und diese intensiv besprochen. Der mahnende Zeigefinger, was alles passiert, wenn man sich nicht an „Gottes Gebote“ hält. Als junger Mensch hat man noch nicht die Weitsicht und die geistliche Reife zu erkennen, was wirklich von Gott kommt und welche Gebote von Menschen gemacht wurden.
Die Einen hielten sich sehr genau daran, oder bewegten sich bewusst jahrelang am Rande der „Legalität“, verfochten jedoch diese Werte und leben heute noch in dem System und andere waren aus den Gemeinden weg, sobald sie die Kraft hatten, selbstständig zu denken und ihren Eltern sowie geistlichen Leitern, Konter bieten zu können.
Eigene Hürden
Leider kann ich mich da auch nicht ausschließen. Es ist viel Arbeit, sich da einzuarbeiten. Sich selbst wirklich kennenzulernen, zu erkennen, welche Mechanismen falsch sind und woran das liegt, dass man so fühlt und empfindet und wirklich alles hat mit dem Erleben in der Kindheit zu tun. An dem, wie die Eltern miteinander umgegangen sind (wie haben die Eltern ihre eigene Sexualität, ihre Ehe zelebriert. Wie wurde mit Nackheit umgegangen…), was einem über Sexualität beigebracht worden ist und dabei spielt nicht nur die sprachliche Aufklärung eine Rolle, sondern auch, z.B. wie die Kinder mit ihren Geschlechtsorganen umgehen durften- ob es mit verboten und negativen Kommentaren belegt war, oder ob ein positives Körpergefühl vermittelt wurde. Wie es später, in der Teenagerzeit, von den geistlichen Leitern in der Gemeinde vermittelt worden ist und wie über Sexualität unter den Freunden gesprochen wurde. All das prägt mit und viele Prägungen sind hinderlich um eine erfüllte, eheliche Sexualität genießen zu können.
Natürlich gibt es auch viele gute Beispiele von Ehen, die jung geschlossen wurden und schon Jahre und Jahrzehnte halten und offensichtlich glücklich sind. An diese sollte man sich halten und vielleicht auch mal um Rat fragen, wenn sie offen erscheinen.
Wie war es zu biblischen Zeiten?
All das wissend, stellt man sich automatisch die Frage, wie das wohl früher war, als Jesus gelebt hat und ob die Menschen dazumal mit denselben Problemen zu kämpfen hatten?
Im Judentum, im Alten Testament, war das recht einfach. Die Paare wurden oft verheiratet, wobei Liebesheiraten natürlich auch möglich waren. Und das sehr früh, in den Teenagerjahren. Maria, „die Mutter Gottes“, war wohl bei ihrer Jungfrauengeburt in etwa erst 14 Jahre alt und sie war verlobt mit Josef. Was ein Skandal war, denn während der Verlobungszeit durfte ein Paar sexuell noch nicht miteinander verkehren und wir lesen auch in der Bibel, wie Josef damit sehr haderte, dass seine Verlobte schwanger war, bis ihm ebenfalls ein Engel erschien und es ihm erklärte.
Das oberste Ziel einer jüdischen Ehe ist es, dem Volk Israel die Nachkommenschaft zu sichern, was natürlich sexuelle Aktivität mit einschließt und dies damals schon in jungen Jahren. Sprich, sowas wie eine längere sexuelle Abstinenz kannte man zu biblischen Zeiten wohl nicht, was eine logische Schlussfolgerung meinerseits ist. Und wer das Hohelied der Liebe von Salomo kennt und auch versteht (ich bin immer noch dran), der versteht auch, dass der Sexualität zwischen zwei Liebenden keine Grenzen gesetzt sind. Mann und Frau können gleichberechtigt ihre Wünsche und Bedürfnisse äußern.
Sexualität heute unter den Christen
Heute haben in unserer Gesellschaft sehr oft andere Dinge, wie Schulbildung, Berufsbildung, Studium und Arbeit eine höhere Priorität, als eine Ehe. Es wird sogar explizit dazu geraten, sich erst gut ausbilden zu lassen, damit genug Geld verdient werden kann, um eine Familie versorgen zu können, was bisher jedoch eher für den Mann galt. Die Zuständigkeiten, wer das Geld nach Hause bringt, ändert sich jedoch gerade massiv, was jedoch auch enorme Probleme mit sich bringt, wie z.B. immer ältere Mütter. Erst Karriere, dann Kinder sind oft das Ziel. Geld und Ansehen hat eine höhere Priorität als das familiäre Glück, was im Idealfall Liebe, Nähe, Zuneigung und Annahme beinhaltet. Alles sehr menschliche Bedürfnisse, die im Grund jeder haben möchte.
Während Menschen die den Glauben nicht ernst nehmen, in sexueller Hinsicht kein Problem damit haben, da sie nicht abstinent leben (müssen), sondern sich einfach Sexualpartner suchen (gut, die haben andere Probleme) auch ohne den Bund der Ehe, ist es für Christen oft schwer. Und so kommt es zu Differenzen in dem Punkt.
Auf der einen Seite gibt es die Christen, die sehr jung heiraten, mit Anfang zwanzig, und vielleicht auch schon seit ein paar Jahren liiert waren. Ihnen wird oft vorgeworfen, dass sie nur wegen dem Sex heiraten würden und es werden manchmal recht düstere Prognosen über die Langlebigkeit ihrer Ehe aufgestellt und vor allem die nicht-gläubige Verwandtschaft kann es oft nicht verstehen, warum man so jung heiratet.
Auf der anderen Seite diejenigen, die sich erst auf ihre Ausbildung/ Studium und Arbeit konzentrieren, vielleicht mal zwischendurch eine Partnerschaft haben, es jedoch nie wirklich intim wurde(außer Küssen oder Petting nichts gewesen) und enttäuscht sind, wenn sie keinen Partner finden, der ihren Ansprüchen genügt. Meist spielt eine zu hohe Erwartungshaltung an den zukünftigen Partner eine Rolle und Überforderung bei der Partnerwahl. Irgendwann mit Ende zwanzig/ Anfang dreißig finden sie dann jemand, heiraten und dürfen dann erst ihr Sexualleben frei ausleben.
Zwischen dem sexuellen Erstkontakt aus biblischen Zeiten im Vergleich zu dem der heutigen Zeiten können also im Extremfall gut zwanzig Jahre liegen, wenn jemand sich an das Gebot kein Sex vor der Ehe hält. Kein Wunder, dass das Thema so dominiert und oft zu Problemen führt!
Mein Umgang mit dem Thema
Da ich in meinem direkten Umfeld offen mit dem Thema Sexualität umgehe (wobei offen hier nicht heißt, dass ich intimes von mir persönlich zum Besten gebe) und einfach über Sexualität spreche als wäre es etwas normales wie essen oder trinken (was es ja auch ist), erzählen einige dann manchmal aus heiterem Himmel, auch oft im Spaßernst, weil sie nur so damit umgehen können, von ihrer Sexualität und so bekam ich bisher einen recht guten Einblick in die Schlafzimmer meiner Mitmenschen.
Sex sollte Spaß machen und Befriedigung verschaffen!
Manche erzählten sehr detailliert (wobei das abgenommen hat, seitdem ich verheiratet bin- auch weil ich mich verändert habe) und manche mit versteckten Anspielungen oder indem sie sich vor uns mit ihrem Partner darüber unterhalten. Dabei geht es meistens um die Streitfrage der Regelmäßigkeit der Paarsexualität, um den Ort (Bett, Küche, Outdoor… usw.), oder um die Häufigkeit des Liebesspiels. Aber auch zuweilen um die unterschiedliche Auffassung von sexuellen Vorlieben und Stellungen.
Im Laufe der Jahre konnte ich mir somit schon ein ziemlich genaues Bild davon machen, wie der Sex unter den Christen in meinem Umfeld, abläuft.
Dazu kommen noch die Unterhaltungen im Netz, die ich seit vielen Jahren führe, meistens mit Männern, die dem sehr aufgeschlossen sind. Auch Frauen unterhalten sich auch gerne drüber, aber eher in geschlossener Gesellschaft, dann jedoch sehr frei und detailliert. Die meisten sind sehr froh, endlich jemand zum reden gefunden zu haben, jemand der sie nicht verurteilt, für das was sie erzählen. Meistens geht es um Phantasien und Bedürfnisse, die demjenigen unnormal vorkommen und sich dafür schämt. Alle aus dem konservativen Hintergrund: „Das macht man nicht“ oder „Das darf man nicht“, „So darf man nicht denken“.
Solange beide Partner damit einverstanden sind, ist in der Ehe ALLES erlaubt! Ich spreche hier natürlich bei allem explizit von der Ehe zwischen Mann und Frau.
Eine Antwort auf „Jeder Christ ist auch nur ein Mensch!“
Gefällt mir Euere Seite. Dafür gibt es Bedarf!