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Sex und Beziehung

Der moderne Lifestyle verbietet es jungen Menschen, archaische Werte zu vertreten. In keinem Lebensbereich wird so viel gelogen wie beim Thema Sex. Wir sind ja so locker und frei und für alles offen.

Seit der sexuellen Revolution der siebziger Jahre haben wir einen starken Wandel im Umgang mit dem Geschlechtlichen erlebt. Verkrustete Ansichten aus Zeiten einer starren Prüderie wurden übermütig über Bord geworfen. Bis heute hat sich die Ansicht eingenistet, dass Sexualität nicht unbedingt einer festen Beziehung bedarf. Flüchtige sexuelle Kontakte, ohne dass man sich näher kennenlernt, gehören für viele Männer und Frauen zu einer modernen Lebenseinstellung. Sex als Ausdruck eines freizügigen Lebensstils. Das geschlechtliche Miteinander soll nicht mehr sein als das Bedürfnis, zu essen und zu trinken. Daneben beobachten wir seit etwa zehn Jahren, dass immer mehr junge Menschen unter dreißig weniger Lust auf Sex haben. Die digitale Welt mit ihren Darstellungen perfekter Körper mag viele von ihnen verunsichert haben. Hinzu kommt, dass junge Frauen heutzutage
selbstbewusst auftreten und dadurch das männliche Gegenüber in eine Verteidigungsrolle bringen.

Sexuelle Befreiung von alten Mustern hört sich zunächst nachvollziehbar an. Doch wo nimmt die Beziehung ihren Platz ein? Unterscheidet uns Menschen nicht gerade das verbindliche Miteinander von Mann und Frau vom Verhalten der Tiere? Schauen wir einen Moment auf die christliche Haltung zur Sexualität. Über Jahrzehnte hinweg ein Tabuthema. Jeder trieb es und tat zugleich so, als habe man nichts damit zu tun. Irgendwoher mussten die Kinder ja hergekommen sein. Als Gegenbewegung zur freien Sexualität entwickelte sich Anfang der neunziger Jahre in den USA eine Bewegung unter jungen Leuten, die sich verpflichteten, vor der Ehe keinen Sex zu haben. Miteinander rumzumachen und zu knutschen war ebenso strikt untersagt. Diese jungen Leute waren nicht unbedingt nur christlich orientiert.

Was ist also dran an der These, dass Beziehung und Sexualität zusammengehören? Oder überhöhen wir damit die Bedeutung des Geschlechtlichen? Diese Fragen sind offensichtlich nicht einfach zu beantworten. Deshalb gehe ich von einer anderen Seite heran. Aus meiner
seelsorgerlichen Arbeit bin ich zu dem Schluss gekommen, dass Männer und Frauen sich im Grunde eine intakte und dauerhafte Beziehung wünschen. Unabhängig von ihrer Lebenseinstellung, von ihrem Glauben. Diese Sehnsucht scheint in uns angelegt zu sein. Eine Beziehung vermittelt Halt und Geborgenheit. Deshalb wird jeder Trennungsprozess von
Paaren als Katastrophe erlebt, auch wenn sie dies nach außen vehement verharmlosen.

Der Mensch ist im Unterschied zum Tier ein seelisches Wesen. Er bleibt zeitlebens tief innen verletzlich. Es liegt mir fern, verstaubte Ansichten aus längst vergangener Zeit vom Speicher unserer Kultur herunterzuholen. In Krisen betonen Männer und Frauen jedoch, was ihnen eine zuverlässige Beziehung bedeutet. Und, wie sehr sie darunter leiden, ihren Partner, ihre
Partnerin, zu verlieren.

Der moderne Lifestyle verbietet es jungen Menschen, archaische Werte zu vertreten. In keinem Lebensbereich wird so viel gelogen wie beim Thema Sex. Wir sind ja so locker und frei und für alles offen. Warum nicht auch Sex zu dritt oder zu viert mit wechselnden Partnern? Viele trauen sich nicht, unter Freunden ihre ehrliche Einstellung zu vertreten. Sie machen mit und reden so, wie die anderen es scheinbar hören wollen. Wir sind ja alle so
modern und für alles aufgeschlossen. Nein, sind wir gar nicht! Wir spielen es wie ein Gesellschaftsspiel.

Was verstehen wir denn eigentlich heute unter „Beziehung“? Eine lange anhaltende Freundschaft? Die Ehe? Häufig wird von der „Partnerschaft“ gesprochen. Also eine soziale und sexuelle Gemeinschaft zwischen Mann und Frau. Sie können sich aufeinander verlassen. Einer weiß vom anderen die intimsten Dinge. Ihr verbindliches Miteinander gibt ihnen Halt
und Geborgenheit. Beide geben sich einander ganz hin. Die gemeinsame Wohnung zeigt: die zwei gehören zusammen. Auch, dass sie sich in der Lebensgestaltung absprechen. Beziehung bedeutet nicht Gefängnis, sondern Nest, in dem sich beide geborgen fühlen. Mit allen Enttäuschungen und Krisen, die sich einschleichen können. Beziehung tut der Seele gut. Ich
weiß, zu wem ich und wer zu mir gehört. Daran ständig zu arbeiten, lohnt sich.

Kritiker behaupten, eine dauerhafte, feste Beziehung führe zwangsläufig zu langweiligem Sex. Alles liefe immer nach dem gleichen Schema ab. Das kann passieren. Andererseits schafft eine feste Beziehung den Schutzraum, um immer wieder neue sexuelle Spielarten auszuprobieren. Zu einem guten Sex gehört es, den anderen immer besser kennenzulernen, seine Wünsche zu entdecken und nicht nur den eigenen Trieb auszuleben.

Muss eine feste Beziehung in der Ehe münden? Diese Frage drängt sich auf. Nun, eine verlässliche Antwort hängt mit der Grundhaltung im Leben zusammen. Als Christ halte ich die Ehe für eine wunderbare Lebensweise. Von Gott gegeben. Vor dem Traualtar die Treue zu versprechen. Ein großer Moment für Mann und Frau. Doch muss die Entscheidung zur Ehe von den beiden aus freien Stücken entstanden sein. Leider versuchen Eltern und
Angehörige oft, an der Stelle Druck auszuüben. Ein fatales Unterfangen.

Eine weitere Frage stellt sich für jeden: Wird die Einstellung zum Sex überwiegend vom Trieb gesteuert? Oder soll mit dem sexuellen Verlangen der Partner, die Partnerin beglückt, beschenkt werden? Wer will schon bloß ein Lustobjekt sein? Ein one-night-stand fordert nicht. Beziehung dagegen braucht Arbeit und gelingt nur als Langzeitprojekt. Damit sind wir bei einem Thema, das als Lustkiller gilt: Was passiert, wenn Sex auf einmal nicht mehr möglich ist? Während einer Schwangerschaft. Oder bedingt durch eine schwere Erkrankung?

Deshalb gehört ein Thema ganz wesentlich dazu, nämlich die „Liebe“. Dass ich dieses Stichwort zum Schluss einführe, soll nicht als Wertung verstanden werden. Im eigentlichen Sinn bedeutet „Liebe“ Hingabe. Sex ist ohne Liebe möglich! Beziehung jedoch entwickelt sich aus der Liebe. Unsere medialen Angebote heutzutage bis hin zur Werbung sind durch und durch sexualisiert. Ohne Liebe. Hingabe in allen Zeiten des Lebens lässt sich nicht verkaufen. Und doch sehnt sich jeder Mensch danach, geliebt zu werden. Ohne wenn und aber.

Wir brauchen in unserer Gesellschaft eine neue Ehrlichkeit. Niemand sollte seine persönliche Einstellung verschweigen, um nicht diskreditiert zu werden. Wer seine Position zu Sex und Beziehung eindeutig formuliert, wird immer auch Akzeptanz finden. Wer sich davon abwendet, ist es auch nicht wert, dass man sich auf ihn einlässt.

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Christoph Maas war über vierzig Jahre Gemeindepastor.
Er ist Fachlehrer für Evangelische Religion, war viele Jahre
Journalist beim MDR und Zeitschriften. Jetzt schwerpunktmäßig
Schriftsteller (Roman, Gedichte, Kurzgeschichten). Er hat
viele Menschen in Partnerschafts- und persönlichen Krisen
begleitet und kennt daher die Spielarten des Lebens gut.

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